Anzhelina Polonskaja: Unvollendete Musik

Die traurigen, anklagenden Gedichte

Unvollendete Musik

Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Russischen von Erich Ahrndt

Moderation: Heinrich Peuckmann

Dichter/-innen wissen, wie schnell man zum Outlaw wird. Wie argwöhnisch einen die Mächtigen, Reichen und Autoritären beobachten, gerade dann, wenn die Medien längst mundtot gemacht sind und sich nicht mehr trauen, die Vorgänge im Land beim Namen zu nennen. Seit 2011, seit ihr Requiem auf die Toten der „Kursk“ in Melbourne aufgeführt wurde, gilt Angelina Polonskaja im Kreml als Dissidentin und kann in Russland praktisch nicht mehr veröffentlichen.

Sieben Gedichtbände hat die Dichterin, die in einer kleinen Stadt nahe Moskau geboren wurde, inzwischen veröffentlicht. Dies nun ist der zweite, der ins Deutsche übersetzt wurde. Und er erschien in der längst verdienstvollen Bibliothek OSTSÜDOST des Leipziger Literaturverlages, mit der er Autor/-innen für deutsche Leser/-innen zugänglich macht, die in den Programmen der großen Verlage eher keine Chance haben, wahrgenommen zu werden. Die Zeit, da namhafte deutsche Verlage ganz bewusst dissidentische Literatur aus Osteuropa veröffentlichten, ist vorbei.Man tut gern so, als wäre das nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht mehr nötig, als hätte sich diese Aufmerksamkeit damit erledigt, als die kommunistischen Parteien dort die Segel und Fahnen strichen. Dass sich aber in vielen Fällen der alte Autoritarismus in neuen Strukturen etabliert hat und dabei ganz ähnliche Zensur- und Verbotsmodelle anwendet, wie sie in Zeiten des Kalten Krieges üblich waren, scheint man selbst in den großen deutschen Medien nicht mehr wahrzunehmen. [weiterlesen]

Eintritt frei | Aber Registrierung/Ticket notwendig
Es gilt die 2G-Regelung. Zutritt nur für Genesene und Geimpfte. Einlass nur mit entsprechendem Nachweis.
Denken Sie bitte an Ihren Personalausweis sowie eine FFP2-Maske.

Anzhelina Polonskaja

Anzhelina Polonskaja wurde 1969 in der Siedlung Malachowka im Gebiet Moskau als Tochter eines Mediziners und einer Eiskunstlauftrainerin geboren. Sie studierte am Moskauer Institut für Körperkultur und Sport sowie Spanisch am Cervantes-Institut. Seit ihrem 7. Lebensjahr schreibt sie Gedichte, seit dem 18. beschäftigt sie sich ernsthaft mit Lyrik, parallel zu ihrer Karriere als Eiskunstläuferin beim Moskauer und Kiewer Eiskunstlaufballett, mit dem sie auf zahlreiche Tourneen in alle Welt ging. Ab 1995 lebte sie in Lateinamerika, bis sie 1997 ihre sportliche Laufbahn beendete.

1994 erschien ihr erster Gedichtband »Swetotsch moj nebesnyj« (Ü: Mein himmlisches Leuchtfeuer). Es folgte eine Reihe weiterer Bände: »Nebo glasami rjadowogo« (1999; Ü: Der Himmel mit den Augen eines gewöhnlichen Menschen/eines Rekruten), »Golos« (2002; Ü: Die Stimme), »Sneg wnutri« (2008; Ü: Der Schnee in mir), »Schwärzer als Weiß« (2015). Angelina Polonskajas Lyrik lehnt sich kaum an russische Vorbilder an. Auch wenn sie scheinbar der einen oder anderen Tradition bzw. Poetik folgt, durchbricht sie deren Rahmen und macht diesen Prozess zu ihrem eigenen poetologischen Verfahren. In ihren Gedichten gibt es stets eine politische Note (die Beunruhigung über die Situation in ihrer Heimat), aber es handelt sich dabei nicht um politische Lyrik im eigentlichen Sinne. Eher ist es die Symbiose zwischen philosophischer Landschaftslyrik und einer Zuspitzung existenzieller Fragen. Die Landschaft ihrer Gedichte entspricht ihrer Sicht auf die Welt, die sich mit der Zeit von angespannter Erwartung zu apokalyptischer Gleichgültigkeit transformiert: »Komm im Morgengrauen meine Schwalben zu töten –/ denn ich bin das Meer …« 2008 schrieb sie auf Anregung des australischen Komponisten David Chisholm das Libretto für ein Oratorium über den Untergang des Atom-U-Boots Kursk im Jahr 2000. Das Stück ehrt die 118 Marinesoldaten, die bei dem Unglück ums Leben kamen. Die Uraufführung fand 2011 in Melbourne statt. Polonskaja zog den Unmut der politisch Verantwortlichen in Russland auf sich und konnte in der Folge dort keinen Verleger mehr für ihre Werke finden. Angesichts ihrer schwierigen Lebensumstände erscheint ihr Bruch mit literarischen Traditionen in ihren Texten als Spiegelung der Überwindung dieser Widrigkeiten. 2016 erschien ihr erster Band mit Kurzprosa »Grönland«, inspiriert von einem Flug in die USA, bei dem sie das Eis Grönlands gesehen hatte. Wie in ihrer Lyrik bedient sie sich einer bildhaften, poetisch verdichteten Sprache zur Beschreibung von Momentaufnahmen und Reflexionen bei der Betrachtung von Schnee.

Seit 2003 ist Polonskaja Mitglied des Russischen PEN. 2014 erhielt sie das Rockefeller Fellowship, von 2013 bis 2015 war sie Gast der Akademie Schloss Solitude Stuttgart. Danach wurde sie Stipendiatin des Netzwerks »Städte der Zuflucht« und zog nach Frankfurt am Main. 2016 erhielt sie den Ord i Grenseland – Words on Borders Freedom Prize.

http://www.polonskaya.com/mainpageeng

Foto Anzhelina Polonskaya © Oliver Lückmann

Datum

23. Nov 2021
Expired!

Uhrzeit

19:30

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Ort

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Neuer Graben 78, 44139 Dortmund
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