Liebe Rätselfreund*innen,
dieser vorletzte Erste Satz stammt aus Thomas Bernhards Erzählung Gehen, erschienen 1971 im Suhrkamp Verlag.
Der österreichische Großmeister der grotesken Wüterei, der durchdringenden Sichtbarmachung (nicht nur) österreichischer Befindlichkeiten und (Miss-)Verhältnisse, dessen bevorzugtes Stilmittel die zornige Suada war, die pointiert und subtil vor allem die Filetierung all dessen zu Tage förderte, was mit allzu gemütlicher, österreichischer Tradition verbunden war, schrieb mit Gehen einen Text, der ein herrliches Verwirrspiel um Denk- und Sprachlogik in Bewegung birgt.
Auf den ersten Blick gehen der anonym bleibende Ich-Erzähler und ein gewisser Oehler spazieren, zumindest seit Karrer, mit dem der Ich-Erzähler zuvor zu gehen pflegte, verrückt geworden ist. In meist indirekter Rede mit typischen Inquit-Formeln wird rezitiert, was der andere (Oehler) oder zuvor der Dritte (Karrer) dem fast sprachlosen Ich oder beide einander schon zuvor erzählt haben. Durch dieses „verschachtelte […] Gefüge an perspektivischen Vermittlungsinstanzen“ (Manfred Mittermeyer) wird das erzählende Ich immer unschärfer, obgleich die Zitation in apodiktischer Präzision erscheint. Ein Vorgang, vergleichbar einem M.C. Escher-Bild, dem die Zentralperspektive minutiös abhanden gekommen zu sein scheint.
Hinter dem grotesken Verwirr-Spiel um Erzähler und Erzähl-Perspektive, ist der Text eine Reflexion über das Übersetzten von Denkbewegung in Sprachlogik. Die Denkbewegung wird in Sprache übersetzt und diese wiederum in Bewegung, also in etwas Raumgreifendes: Ein merkwürdiges perpetuum mobile aus Denken, Sprache und Raum.
Eine wunderbare Entsprechung findet sich in einer Installation von Mischa Kuball im Zentrum für internationale Lichtkunst in Unna. space – speech – speed, 1998 heißt die Arbeit, in der sich drei Discokugeln mit eben jenen projizierten Begriffen gegeneinander drehen, sodass immer das Licht der einen, den Schatten der anderen bedingt. Eine tolle Installation im ebenso tollen Lichtkunst-Museum, quasi gleich vor der Haustür. Ab nach Unna!
Bis zum großen Finale, zum letzten Ersten Satz am Freitag grüßt
das Literaturhaus-Team!